(AS: Geistlehrer Josef beschreibt hier einen interessanten und, gemessen an den üblichen religiös-philosophischen, eher intellektuellen ‚Gottesbeweisen‘, unüblichen Weg zu lebendigem Glauben.)

J: Wenn man das heutige Christentum betrachtet, muss man doch zugeben, dass – wenn auch noch nicht überall – den Menschen eine größere geistige Freiheit im Denken und in Glaubensangelegenheiten gegeben ist; dass durch diese Freiheit eben auch die Gewalt eingedämmt worden [18 Seitenwechsel 19] ist. Nun ist es doch soweit, dass die Gewalt sich nicht mehr, wie dereinst, austoben kann in der Christenheit, in der christlichen Lehre. Und betrachten wir es heute, was ist daraus geworden? Ist sie etwa zum Segen geworden für die heutige Zeit?

Man hat sich also durchgerungen zu dieser Freiheit, man will von der Gewalt nichts mehr wissen, und kurzum: man ist einfach nicht mehr willens, ja zu sagen zu alldem, was man einstmals als Gesetz und Pflicht den Gläubigen aufgezwungen hat, wobei jeder, der sie missachtete, als großer Sünder angeprangert wurde. Heute macht es den Menschen einfach keinen Eindruck mehr. Es ist etwas in sich zusammengefallen, und es kann etwas in sich zusammenfallen, wenn es nicht auf Wahrheit beruht.

Also kommen die Menschen heute zum Entschluss, ihren Weg selbst zu suchen. Es ist aber heute, bei der übergroßen Bevölkerung den Menschen auch eine Prüfung mit ins Leben gegeben worden. Und in erster Linie wird den Christenmenschen diese große Prüfung mit in ihr Leben hineingegeben. Und was damit gemeint ist, ist nicht schwer zu erraten. Es ist eben der Glaube. Der Glaube an den lebendigen Gott, die Lebendigkeit des Glaubens an die Wahrheit, die vom Himmel kommt; an die Botschaften, die der Himmel in ihrer Wahrheit verkündet. Das ist für viele eine harte Prüfung, und wer wird wohl heute diese Prüfung bestehen? Eben, meine ich, jene heranwachsenden Menschen, die in Zukunft diese Erde bevölkern.

Gerade jene Menschen, die heute Geschichte machen und mitzureden haben, sie versuchen doch die Dinge aus ihrem Blickfeld heraus zu erklären. So können sie aber nichts erfassen und nichts in der Wahrheit finden, wenn sie nicht nach dem Ur-Kern forschen, sich nicht nach dem Sinn des Lebens ausrichten, und wenn sie Gott nicht finden.

Es ist das, was wir immer wieder betonen müssen: es wird so lange eine große Lücke in der Christenheit sein, bis sie sich zu dem durchgerungen hat, was dem Glauben die Lebendigkeit gibt. Und das ist einmal das: es ist der Glaube an Gott und an seine heilige Geisteswelt. Es ist der Glaube an eine Wiedergeburt. Das sind zwei ganz besonders wichtige Dinge für jede Religion. Und gerade diese zwei wichtigen Voraussetzungen für einen wahren Glauben, will man in der Christenheit kaum als Wahrheit anerkennen. Oberflächlich will man sich vielleicht damit befassen, an einen Gott glauben. Aber von einem Leben nach dem Tode, von einer geistigen Existenz, da will man nichts hören, und man ist nicht bereit, fest daran zu glauben.

So braucht es eben einmal einen großen Durchbruch zu diesem Glauben. Das kann jedoch nicht von heute auf morgen geschehen, es sei denn, es wäre so in Gottes Willen, und er würde all das Notwendige dafür einleiten, um es möglich zu machen. Dies aber liegt bei Gott selbst. Auch sollte der denkende Mensch sich klar darüber werden, dass nichts dem Zufall zuzuschreiben ist. Und wenn man von dem Mitmenschen Nachsicht verlangt, wenn man von ihm erwartet, dass er sich in jeder Beziehung von seiner besten Seite zeigt, dass er wohlwollend gestimmt ist und ein gütiges Herz hat, so muss man doch auch auf den Gedanken kommen, dass im Menschen etwas so Wertvolles ist, etwas so Bedeutendes, dass es nicht vergehen kann, dass es von Ewigkeitswert ist.

Zu dieser Erkenntnis sollte man sich durchringen können. Ich weiß wohl, was man mir entgegnen möchte. Wenn man nicht an Gott glauben kann, kann man ja auch nicht an diese unvergänglichen göttlichen Werte glauben. Aber das sind ja gerade diese Prüfungen, die dem Menschen mit ins Leben gegeben sind. Jeder Mensch aber, der hier auf dieser Welt lebt, hat doch das Verlangen nach etwas Liebe, nach Gerechtigkeit. Er möchte von den Mitmenschen geschätzt und geachtet werden. Er verlangt von dem Mitmenschen Aufmerksamkeit. Er verlangt also etwas von dem anderen, was er selbst nicht immer bereit ist dem andern zu geben.

Aber gerade das, was er vom anderen verlangt, ist doch etwas Höheres, etwas Edles. Es ist nicht einfach etwas Gewöhnliches. Er möchte vom Mitmenschen getragen, gehoben werden, geschätzt und anerkannt. Ja hier kommen also auch beim – sagen wir es ganz offen – ungläubigen Menschen gewisse geheiligte Gefühle zum Ausdruck. Er verlangt nach etwas, das heilig ist. Und heilig sind diese Gefühle, denn sie kommen aus Gott. Alles, was aus Gott ist, ist in einem gewissen Grad heilig. Man darf jedoch das Wort ‘heilig’ hier nicht unbedingt als Ausdruck für das Vollendetste, Vollkommenste betrachten, sondern als etwas Würdiges, Ehrbares, Kostbares. Ihm möchte ich den Sammelbegriff ‘heilig’ geben. [19 Seitenwechsel 20]

Und dieses Heilige kann ja nur aus einer ebensolchen erhabenen, ehrwürdigen Welt kommen, aus einer Heiligkeit heraus. Und dieses Heilige kommt doch von Gott und ist für den gläubigen Menschen doch ganz selbstverständlich. Und so pflege ich ja ganz besonders meine mir treuen Freunde anzusprechen und bin auch geneigt, mich dementsprechend auszudrücken für all jene, die diese geistige Sprache noch nicht verstehen, die aber willens sind, sich auf diesem Wege zu orientieren.

Und darum muss ich sagen: in jedem Menschen ist doch etwas Heiliges. Und dieses Heilige im Menschen sollte geschätzt werden. Jeder ist Träger von diesem Heiligen. Man muss sich aber auch darüber seine Gedanken machen, dass man dieses Heilige auch dementsprechend zu pflegen hat und ihm die Würde der Heiligkeit gibt. Diese Heiligkeit soll der Mensch nicht durch seinen Eigensinn unterdrücken, sie entwürdigen. Doch das ist es ja gerade, was die Menschen nicht begreifen und nicht verstehen, dass das Heilige im Menschen gepflegt werden muss, so wie man alles pflegen muss, was man sich erhalten möchte, dass es nicht wertlos wird.

(J, 8.1.1972 – GW 1972/3, S. 18 - 20.)